Geschichte des Dart in GB
Spricht man über die Entstehung und Entwicklung des Darts, so
tauchen immer wieder dieselben Geschichten und jahrhundertealten
Überlieferungen auf. Für manchen übereifrigen Dartfreund schlug
die Geburtstunde des Sports schon in der Frühgeschichte der
Menschheit, als zum ersten Mal ein Homo Sapien eine speerähnliche
Waffe nach einem Tier schleuderte.
Immerhin finden sich hier schon zwei Grundelemente des Dartsports:
der mit Muskelkraft geworfene, spitze Gegenstand und das vorgegebene
zu treffende Ziel. Diese Verbindung zwischen Evolution und Darts
erscheint uns trotz allem reichlich konstruiert und sollte als
historische Tatsache nicht allzu ernst genommen werden. Zeitlich
näher dagegen liegt das Mittelalter mit seinen angelsächsischen
Bogenschützen. Wahrscheinlich hatten die Krieger mit ihren Bräuchen
einen entscheidenden Einfluss auf die Form des Darts, wie wir sie
heute kennen.
Die Bogenschützen hatten auf der Insel eine weitaus größere
kriegstechnische Bedeutung als bei uns auf dem Festland. Sie
trugen beispielsweise entscheidend dazu bei, während des
Hundertjährigen Krieges (1338-1453) den Franzosen bei Agincourt,
Crecy und Poitiers fürchterliche Niederlagen zu bereiten.
Dementsprechend hoch war auch ihre Beliebtheit bei der Bevölkerung.
Ist nicht auch der englische Volksheld Robin Hood - mag er nun
gelebt haben oder nicht - in den Augen des Volkes ein exzellenter
Bogenschütze gewesen?
Jedenfalls wird von diesen Schützen überliefert, dass sie zu
Übungszwecken und im friedlichen Wettkampf gegeneinander auf
Baumstammscheiben, also eine Urform des heutigen Boards, geschossen
haben. Die sich nach innen verjüngenden Jahresringe dienten damals
als Wertungsskala.
Diese Einteilung lässt sich noch bei den heutigen Boards
nachvollziehen: Bull, Treble-Ring, Double-Ring. Weiterhin besagt
die Überlieferung, die Bogenschützen hätten sich nach Schlachten
die Zeit vertrieben, indem sie mit abgebrochenen gegnerischen
Pfeilspitzen auf Scheiben geworfen haben.
Sollte dies tatsächlich zutreffen, könnte man die angelsächsischen
Bogenschützen zu Recht als Erfinder des Dartssports bezeichnen. Wie
gesagt: Wenn ...! In dieser geschichtlichen Epoche tauchen auch
erstmals die Begriffe "dart", "daroth", "daruth", "dagger" in
Dokumenten auf. Es ist sehr wahrscheinlich, dass damit Pfeile und
Lanzen für Kriegs- beziehungsweise Jagdzwecke gemeint waren.
Auch auf dem Festland, in dem damaligen Westfränkischen Reich,
dem heutigen Frankreich -, war das Wort "daruth" bekannt. Heute
noch ist es üblich, einen Wurfspieß oder eine Harpune als "dard"
zu bezeichnen. In den folgenden Jahrhunderten verlor das
Bogenschießen drastisch an militärischer Bedeutung. Was aber
blieb, war der Spaß, mit Pfeilen auf Zielscheiben zu schießen
oder zu werfen: Während der Herrschaft der Tudors (1485-1603)
wurde dieser Zeitvertreib als höfisches Vergnügen eingeführt.
Der Überlieferung zufolge soll Anne Boleyn Heinrich VIII. einen
Satz kostbarer Darts geschenkt haben. Dabei handelte es sich aber
wohl eher um Jagdwaffen als um kleine Wurfpfeile. Das weitere
Schicksal Anee Boleyns lässt allerdings vermuten, dass Heinrich
der Achte kein sonderlich leidenschaftlicher Dartspieler war.
Schenkt man weiteren Erzählungen aus der damaligen Zeit Glauben,
so spielten englische Siedler während der langen Seereisen zu den
Kolonien auf den Schiffen eine Form des heutigen Darts, um sich die
reichlich zur Verfügung stehende Zeit zu vertreiben. Sogar die
puritanischen "Pilgrim Fathers" sollen sich auf der "Mayflower"
diesem Vergnügen hingegeben haben.
Den englischen Auswanderern ist wohl auch die Popularität des
Spieles in den heutigen Commonwealth-Staaten und den USA zu
verdanken. Bei all diesen Geschichten und Anekdoten, die sich um
die Ursprünge des Darts ranken, handelt es sich um Überlieferungen,
die nicht eindeutig belegbar sind. Es soll dem Leser überlassen
bleiben, inwieweit er ihnen Glauben schenkt oder ob er sich einfach
nur an den Einfallsreichtum erfreut. Darts, wie es heute als
Kneipenspiel und anerkannter Wettkampfsport ausgeübt wird,
entwickelte sich seit der letzen Jahrhundertwende in England.
Die Pubs nahmen in dieser Zeit eine wichtige soziale Funktion als
Kommunikationsstätte und Ort der Unterhaltung ein. In diesen
Lokalen wurden Boards und Spielregeln entwickelt, die sich
allerdings regional unterschieden.
Eigentlich stellte Darts mehr oder weniger ein
Geschicklichkeitsspiel dar, das dazu diente, die nächste Lage
Bier auszuspielen. Doch schon bald wurden Spielgerät und -regeln
verfeinert, und Darts entwickelte den Charakter eines
Wettkampfsportes.
1896 ordnete der Zimmermann Brian Gamlin aus Bury/Lancashire die
Zahlen auf dem Board in die Reihenfolge, wie wir sie heute noch
kennen. Wie es ausgerechnet zu dieser Anordnung kam, ist nicht
definitiv nachvollziehbar. 1898 wurde der faltbare Papier-Flight
und 1906 der Metall-Barrel patentiert. Von den ersten
180-ERgebnissen (3 Darts in Treble 20) berichtete 1902 eine
Provinzzeitung aus Lancashire. Man darf dabei nicht vergessen,
dass diese Trefferzahl damals aus größerer Entfernung und mit
wesentlich unförmigeren Darts erreicht wurde.
1927 wurde das erste bedeutende Turnier ausgetragen, welches von
der Zeitung "News of the world" gesponsert wurde. Dieser Wettkampf
ist auch heute noch der Klassiker unter den Dartturnieren. Anfangs
kamen die Teilnehmer nur aus einem begrenzten Einzugsgebiet
(London und Umgebung). Ab 1948 strömten aber Spieler des gesamten
Landes zu dem Turnier. 1948 wurden insgesamt 289 866 Meldungen
entgegengenommen!
Die Zahl der Teilnehmer machte es deutlich: der Dartsport hatte
seinen ersten großen Boom nach dem zweiten Weltkrieg. Darts war
eines der wenigen Vergnügen, die es in dieser entbehrungsreichen
Zeit überhaupt gab, und das man sich leisten konnte. Die Gründung
des ersten Dart-Verbandes 1954 - der "National Darts Association",
kurz NDA - und eine stetig ansteigende Anzahl an Turnieren, waren
die logische Folge dieses Aufschwungs.
In den sechziger Jahren änderte sich jedoch das Freizeitverhalten
der Engländer unter dem wachsenden Einfluss des Fernsehens und dem
stetigen Anwachsen zahlreicher Unterhaltungsmöglichkeiten. Darts
blieb zwar weiter ein Volkssport, das Interesse daran ließ aber
spürbar nach. Die Entwicklung immer aufwendigerer Boards und vor
allem Darts gab den Ausschlag für einen zweiten großen Aufschwung
des Spiels Anfang der siebziger Jahre. Die Hersteller entdeckten
das enorme kommerzielle Potential, das in diesem Breitensport
steckt (Umsatz 1979: 11.262.000 englische Pfund!). Sie boten sich
als Sponsoren für Turniere und Spieler an. Brauereien und
Tabakfirmen folgten bald diesem Trend.
1973 wurde dann die "British Darts Organisation" (BDO) gegründet.
Anders als die etwas konservative NDA bediente sich die BDO
moderner Methoden des Marketings, um Darts für Spieler, Publikum
und Sponsoren attraktiver zu machen. Sie richtete landesweit
verschiedene Ligen ein und veranstaltete große internationale
Turniere, beispielsweise die alljährlichen Weltmeisterschaften
und das große "British Open". Mitte der siebziger Jahre gelang
Darts der Sprung auf den Bildschirm. Ein weiterer Meilenstein in
der Geschichte des Dartssports! Für die TV-Gesellschaften war es
eine attraktive Angelegenheit, Dart-Veranstaltungen im Fernsehen
zu übertragen, denn die Kosten hielten sich im Rahmen und die
Zuschauer zu Hause waren begeistert.
Darts hatte nun die besten Voraussetzungen, auch zu einem
Publikumssport zu werden. Früher, in den englischen Pubs,
konnte nur eine begrenzte Anzahl von Zuschauern das Spiel
verfolgen. Selbst bei großen Turnieren, bei denen entscheidende
Spiele auf einer Bühne ausgetragen wurden, war die direkte Einsicht
auf das relativ kleine Board beschränkt. Durch den Einsatz von
elektronischen Anzeigetafeln und Schaubildern, auf denen die
Treffer analog angezeigt wurden, konnten nun auch Hunderte von
Zuschauern in einem Saal das Spiel verfolgen. Und durch die
Fernsehübertragung ist es sogar gelungen, Millionen von Menschen
gleichzeitig an der Spannung eines Dartsturniers teilhaben zu
lassen. Nicht unerheblichen Anteil an diesem Erfolg hatten einige
"Originale" unter den Spielern, wie beispielsweise der berühmte
Jockey Wilson. In kurzer Zeit waren sie aus den verräucherten Pubs
in das grelle Scheinwerferlicht der Fernsehanstalten gerückt. Neben
großem spielerischem Können boten sie auch sonst einen erheblichen
Unterhaltungswert für die Zuschauer. Heutzutage gewinnt der
Dartssport weit über die Länder mit britischem Kultureinfluss
hinaus mehr und mehr an internationaler Bedeutung. Allerdings
kommen heute die besten Spieler immer noch aus Großbritannien.
Sie sind längst Vollprofis und können von den Einnahmen aus
Turnieren, Schaukämpfen und Werbeverträgen sehr gut leben.
Doch die Mehrzahl der rund 8 Millionen Briten, die regelmäßig in
Pubs oder Clubs Darts spielen, tun dies nicht des Geldes und des
Ruhmes willen, sondern nur aus dem einen Grund: Just for fun! Und
dies gilt mit Sicherheit nicht nur für die Briten, sondern für
nahezu alle Dartspieler auf der ganzen Welt. Darin liegt
schließlich auch der Schlüssel zur Popularität dieses Sportes:
Es macht eben Spaß !!!
(Quelltext: "Darts - Freizeitspaß und Wettkampfsport" von
Günther Ruf / Rainer Kaufmann, IDEA-Verlag)